Kinder mit MIH-Zähnen dürften in allen Praxen vorstellig geworden sein und auch in den Reihen der Eltern ist die Erkrankung unter dem Schlagwort „Kreidezähne“ wohl bekannt. Über die Ursache der Erkrankung existieren bislang immer noch keine gesicherten Erkenntnisse. Anhand der betroffenen Zähne lässt sich nur der Zeitpunkt eingrenzen, in dem die Hypomineralisation entstanden sein muss. Meist liegt dieser Zeitraum zwischen der Geburt und dem 3. Lebensjahr.
Weniger bekannt ist, dass auch Milchzähne ganz analoge Hypomineralisation aufweisen können, die als deutlich abgegrenzte Opazitäten, als umschriebener oder als umfassenderer Schmelzdefekt imponieren. Die unebene Struktur der Zähne mit Schmelzdefekten begünstigt nachfolgend rasch die Entstehung einer Karies, die sich dann oft auf eigentlich für Karies untypischen Zahnflächen zeigt. International liegt inzwischen eine Reihe von Publikationen vor, die sich mit der Prävalenz von Hypomineralisation insbesondere der Milchmolaren befassen. Die Konzentration auf die Molaren hängt vor allem mit der Beobachtungshäufigkeit und den teilweise überlappenden Mineralisationszeiträumen der 2. Milchmolaren und der 6-Jahr-Molaren zusammen.
Für Hamburg liegen jetzt erstmalig Daten zur Prävalenz der Milchmolaren-Hypomineralisation vor, die Anfang Juli von der Zahnärztin M. Sc. Vasiliki Tzortzini auf der virtuellen EAPD-Tagung präsentiert wurden. Hierzu waren in zufällig ausgesuchten Hamburger Kindertagesstätten 400 3- bis 6-jährige Kinder untersucht worden. Die Erhebung erfolgte unter Leitung von Prof. Dr. Ulrich Schiffner mit organisatorischer Unterstützung der LAJH. Die Milchmolaren wurden auf die Symptome abgegrenzter Opazitäten, umschriebener Schmelzdefekte oder größerer Schmelzabplatzungen untersucht.
28,7% der Kinder wiesen an mindestens einem Milchmolaren MMH-Zeichen auf. Bei den meisten Kindern beschränkten sich die Maximal-Befunde auf Opazitäten (17,4%), gefolgt von umschriebenen Schmelzdefekten (6,0%) und ausgedehnten Schmelzabplatzungen (5,3%). Die Prävalenz und die Ausprägungen der MMH waren bei beiden Geschlechtern gleich hoch. Die zweiten Milchmolaren erwiesen sich als doppelt so häufig betroffen wie die ersten Milchmolaren (12,3% vs. 5,0%).
Die Prävalenz ausgeprägterer Defekte nimmt mit zunehmendem Alter deutlich zu. Dies ist darauf zurückzuführen, dass zunächst als Opazitäten erscheinende Hypomineralisation im Laufe der Zeit unter Kaubelastung abplatzen und damit ihre Erscheinungsform verändern.
Die Untersuchung hat einen hohen Anteil an Kindern mit MMH zutage gebracht. Dies soll einerseits Anlass zu weiteren Forschungsaktivitäten sein, insbesondere angesichts der Tatsache, dass die Mineralisation der Milchmolaren bereits vor der Geburt beginnt und ein Jahr nach der Geburt abgeschlossen ist. Mindestens ebenso groß sind jedoch die Herausforderungen an die zahnärztliche Diagnostik, Beratung und Versorgung. MMH-Zähne bedürfen besonderer kariespräventiver Anstrengungen. Die Schilderungen mancher Eltern, die Milchzähne wären schon bräunlich verändert und mit Defekten in die Mundhöhle durchgebrochen, sollten zudem nicht voreilig und kategorisch dem Kariesgeschehen zugeordnet werden. Ein klinisch hilfreicher Indikator kann dabei das von der Veränderung betroffene Zahnareal sein, ob es einer Karies-Prädilektionsstelle entspricht oder eher untypisch für eine Karies ist. Es sei aber genauso deutlich herausgestellt, dass nicht jeder Milchzahn-Defekt ab jetzt eine MMH ist. Im Vorschulalter ist die Karies nach wie vor das häufigere und drängendere Problem als die MMH.
Im Zuge der Untersuchung wurden übrigens auch an anderen Milchzähnen Zeichen einer Hypomineralisation gefunden. Zumeist waren in diesen Fällen die Eckzähne betroffen und in der Regel beschränkte sich die Veränderung auf Opazitäten. Es deutet sich aber an, dass für die Fragestellung von Schmelzhypomineralisationen im Milchgebiss eine Einschränkung nur auf die Milchmolaren nicht gerechtfertigt ist. Eine schlüssige, vorbehaltfreie Hypothese zur Ätiologie der MMH existiert bislang, ebenso wie bezüglich der Entstehung der MIH, noch nicht.
Prof. Dr. Ulrich Schiffner