Eines steht außer Frage: Stabilisiert werden muss das leck geschlagene Schiff der GKV-Finanzen. Und das kurz- wie langfristig. Kurzfristig droht für 2023 ein Defizit von mind. 17 Mrd. €. Ein Erbe der teuren Gesundheitspolitik des ehem. Bundesministers Spahn in den „Coronajahren“. Langfristig sind es der demografische Wandel mit einem weiter wachsenden Anteil älterer Patienten mit höherem Versorgungsbedarf, die immer anspruchsvolleren – und damit teureren – medizinische Möglichkeiten und die sinkende Zahl an Beitragszahlern, die eigentlich tiefgreifende strukturelle Änderungen des Gesamtsystems erfordern.
Aber eine wirklich strukturell ausgerichtete Überholung des Schiffsrumpfes im Trockendock ist das nicht, was Prof. Lauterbach da dem Kabinett vorgelegt hat und was jetzt in die Bundesratsberatungen gehen sollte. Der Gesundheitsminister versucht bei voller Fahrt, die Löcher im Rumpf zu stopfen und das eingedrungene Wasser zumindest so weit herauszupumpen, dass das Schiff in den nächsten zwei Jahren nicht sinkt. Und das alles – so wird der Gesundheitsminister nicht müde zu betonen – ohne Leistungskürzungen für die Versicherten.
Tatsächlich aber nimmt er dafür die gesamte Mannschaft – auch die Beitragszahler – hart ran:
4 Mrd. € werden allein den ohnehin schon schwindenden Finanzreserven der Krankenkassen entnommen und weiter 2 Mrd. € sollen durch die eine Halbierung der Liquiditätsgrenze des Gesundheitsfonds zu Stande kommen. Der zur Sicherung der GKV-Finanzlage 2022 gezahlte Bundeszuschuss wird um 85% auf 2 Mrd. € zusammengestrichen und eine weitere Milliarde will der Gesundheitsminister den Kassen nur als rückzahlbaren Kredit, befristet bis 2026, zur Verfügung stellen. Auf die Beitragszahler direkt kommt dabei eine Erhöhung der Zusatzbeiträge um 0,3% zu.
Die pharmazeutische Industrie, der Prof. Lauterbach in diesem Jahr ein coronabereinigtes Umsatzplus von 8% bescheinigt, soll in den nächsten beiden Jahren eine „Solidaritätsabgabe“ von jeweils 1 Mrd. € leisten. Das sog. Preismoratorium, das den Krankenkassen Abschläge bei der Preisentwicklung bestimmter Medikamente zugesteht, wird um weitere 4 Jahre verlängert (1,8 Mrd. €) und die Erstattungsregelungen bei neuen Medikamenten greifen zukünftig bereits nach 6 und nicht erst nach 12 Monaten.
Die Apotheker werden für 170 Mio € mit einer Erhöhung des sog. „Apothekenabschlages“ auf zwei Euro für die Dauer von zwei Jahren zur Kasse gebeten und den Krankenhäusern geht es ab 2024 an das Pflegebudget, wenn nur noch die Personalkosten qualifizierter Pflegekräfte, die direkt am Patientenbett arbeiten, erstattet werden sollen.
Bei den Ärzten will Lauterbach eine Regelung streichen, die er seinerzeit aus gutem Grunde selber im Terminservice- und Versorgungsgesetz verankert hatte. Die extrabudgetäre Vergütung für die Versorgung von Neupatienten wird ersatzlos gestrichen und die Kosten dieser Patientengruppen werden zu Lasten der Ärzteschaft in die ohnehin ausgereizten Budgets hineingepresst.
Den Zahnärzten droht ein Rückfall in die strikte Budgetierung, die in dieser Form eigentlich seit 2012 als aufgehoben galt. Mit festgeschriebenen maximalen Zuwachsraten, die 2023 0,75% und 2024 1,5% unterhalb der Grundlohnsummenentwicklung liegen sollen, nimmt der Gesundheitsminister der Zahnärzteschaft nicht nur die Möglichkeit, die durch Inflation, Energiekrise, Personalmangel und Digitalisierung eintretende Kostensteigerung zu kompensieren. Er tut damit genau das, was er immer weit von sich gewiesen hat: Er führt Leistungskürzungen für die Patienten ein. Die gerade erst Mitte 2021 in den GKV-Katalog aufgenommene komplexe und präventionsorientierte Systematik der neuen PAR-Behandlungsstrecke wird durch diese Form der Ausgabenbegrenzung schlicht nicht mehr bezahlbar. Und dabei ist es gerade diese vorausschauende Art der zahnmedizinischen Versorgung, die in den letzten Jahren für einen stetigen Rückgang des Anteils der zahnärztlichen Kosten auf aktuell (2021) nur noch 6,25% an den Gesamtausgaben der GKV gesorgt hatte.
Kein Wunder, dass das Unverständnis und der Wille zum konstruktiven Widerstand in der Zahnärzteschaft groß sind. Im Sinne Ihrer Patienten haben die zahnärztlichen Körperschaften, Fachgesellschaften und Verbände in seltener Eintracht und Abstimmung auf allen politischen Ebenen Anstrengungen unternommen, mit den Entscheidungsträgern doch noch in einen konstruktiven Dialog zu treten. In Hamburg haben weit über 700 Zahnärztinnen und Zahnärzte einen offenen Brief an Prof. Lauterbach unterzeichnet, der die Folgen für die Patientenversorgung aufzeigt. KZV und Kammer haben sich gemeinsam an die Gesundheitssenatorin gewandt und ihre Überlegungen schriftlich und im persönlichen Gespräch erläutern können. Mit der Bundesebene der Körperschaften zusammen wurden auch der regierende Bürgermeister und die Leiterin der Landesvertretung Hamburgs auf die Problemlage angesprochen und der KZBV ist es gelungen, Gesprächstermine mit den meis-ten namhaften Gesundheitspolitikern (fast) aller im Bundestag vertretenen Parteien (bis auf die AfD) inkl. des Gesundheitsministers zu vereinbaren.
Das Engagement der Standespolitik in dieser Frage hat bereits erste Erfolge gezeigt: Hamburg hat zusammen mit Sachsen einen Antrag in den Gesundheitsausschuss des Bundesrates eingebracht, der die Herauslösung der PAR-Behandlung aus der strikten Budgetierung fordert. Gleichlautende oder ähnliche Anträge wurden auch über Bundesländer Schleswig-Holstein und Hessen formuliert. Der Gesundheitsausschuss ist den gut begründeten Anträgen der Länder gefolgt und hat die Empfehlung ausgesprochen, neben den IP- und FU-Leistungen und den Vorsorgeleistungen für Pflegebedürftige und Menschen mit Behinderungen auch die neue PAR-Behandlungsstrecke aus der vorgesehenen Ausgabenbegrenzung auszunehmen, da es sonst „… zu einer unsachgemäßen Reduzierung der neuen PAR-Versorgungsstrecke und damit zu einer Reduzierung des Leistungsangebotes …“ kommen würde.
Inwieweit sich der Bundesrat am 16.09.2022 nach den Empfehlungen des Gesundheitsausschusses richtet, war bei Redaktionsschluss noch nicht bekannt. Und ob dann der Bundestag bei dem nicht zustimmungspflichtigen Gesetz nur dem Willen des Gesundheitsministers folgt und nicht zu anderen – klügeren – Einsichten kommt, muss sich noch zeigen.