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Information der Zahnärztekammer und der KZV Hamburg

„… oder wir müssen darüber diskutieren, ob wir den Notdienst … wieder fest einteilen“

Mehr als 1.000 Tagesordnungspunkte bei Dienstbesprechungen hat der KZV-Hamburg-Vorstand in der aktuellen Amtsperiode bereits abgearbeitet. Zu diesem Anlass hat die HZB-Redaktion den KZV-Vorstand zu einem Interview getroffen

HZB: Mehr als 1.000 Tagesordnungspunkte in weniger als 900 Tagen Amtszeit erscheinen recht viel. Welches Thema steht mehrheitlich auf der Tagesordnung?

Dr./RO Eric Banthien (EB): Ganz oben steht immer die vertragszahnärztliche Versorgung. Dabei erstrecken sich die Themen im Regelfall auf alle unsere drei Vorstandsbereiche. Die sind Vertragsangelegenheiten/Sicherstellung, zahnärztliche Angelegenheiten und Aufgabenstellungen der Verwaltung. Inhaltlich stehen für uns die Interessen der Kolleginnen und Kollegen im Vordergrund: Von der Verhandlung der Honorarvolumina mit den Krankenkassen und deren leistungsgerechter Verteilung über alle Einzelfragestellungen der vertragszahnärztlichen Versorgung bis zur Ausgestaltung und Weiterentwicklung einer dienstleistungsorientierten und wirtschaftlich orientierten KZV.

HZB: In die Verhandlung der Honorarvolumina hatte der Gesetzgeber mit dem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz für die Jahre 2023 und 2024 massiv eingegriffen.

EB: Ja, und mit diesem Eingriff der gerade erst neu eingeführten, präventionsorientierten und wissenschaftlich fundiert belegten neuen PAR-Behandlungsstrecke die notwendige Finanzierung entzogen und damit der Volkskrankheit Parodontitis weiter Vorschub geleistet. Eine Folge der Gesetzgebung, gegen die wir uns gemeinsam mit der KZBV auf sämtlichen politischen und Vertragsebenen mit aller Kraft stemmen.

HZB: Das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz ist jetzt Geschichte ...

Dr. Gunter Lühmann (GL): … wirkt aber in den Köpfen der Zahnärzteschaft weiter. Die älteren Kolleginnen und Kollegen sind frustriert ob der umfassenden Eingriffe des Gesetzgebers in die Selbstständigkeit und Selbstverwaltung und in der jüngeren Generation stellen wir ob der erratischen Gesundheitspolitik eine zunehmende Zurückhaltung bei der Frage der Selbstständigkeit fest. Die Niederlassung erfolgt eher zu späteren Lebens-Zeitpunkten und viele junge Zahnärztinnen und Zahnärzte favorisieren zunächst die Tätigkeit in Anstellung.

EB: Es ist Geschichte, wirkt aber auch im Honorarvolumen weiter. Die Gesamtvergütung wird immer ausgehend vom Honorarvolumen des Vorjahres berechnet. Also fehlen die Steigerungen, die wir in den Jahren 2023 und 2024 nicht bekommen durften, auf ewig.

Stefan Baus (SB): Wenn es nicht gelingt, einen Politikwechsel herbeizuführen, werden wir als Gesellschaft die Auswirkungen der von Misstrauen ggü. den Leis-tungserbringern, Sanktionen und Bürokratie geprägten Gesundheitspolitik der letzten Jahre schmerzhaft zu spüren bekommen. Zusammen mit den gesellschaftlichen Veränderungen und dem Generationswechsel reißt diese Politik schon jetzt Lücken in die Versorgungsstrukturen, die die Erfüllung des Sicherstellungsauftrages der KZVen und KVen massiv gefährden.

HZB: „Sicherstellung“ ist ein gutes Stichwort: In der jüngsten Vergangenheit haben Sie sich mehrfach in der Frage der Sicherstellung der Notdienstversorgung an die Hamburger Kollegenschaft gewendet. Wo liegt das Problem?

EB: Wir stellen seit geraumer Zeit fest, dass die Bereitschaft unter den Kolleginnen und Kollegen, sich freiwillig am vertragszahnärztlichen Notdienst zu beteiligen, sinkt. Die Sicherstellung der Notdienstversorgung stellt jedoch eine klare gesetzliche, vertragliche und satzungsgemäße Aufgabe der KZV dar und ist ein elementarer Teil der Gesundheitsversorgung in Hamburg.

GL: Wir kennen aus unser eigenen Tätigkeit die wachsenden Problematiken, das Praxispersonal für Wochen-end- oder Feiertagsdienste zu gewinnen oder die familiären und privaten Planungen hinten anstellen zu müssen, aber die Teilnahme am Notdienst bleibt nun mal eine vertragszahnärztliche Pflicht, der wir uns als Niedergelassene stellen müssen. In Hamburg haben wir über die Selbstverwaltung schon viel dafür getan, den „Notdienstdruck“ für uns alle zu vermindern.

HZB: Inwiefern?

SB: Die Erfüllung des Sicherstellungsauftrages im Notdienst fußt in Hamburg auf zwei Säulen: Zum einen haben wir den nächtlichen Notdienst schon vor Jahren ausgeschrieben und zentral vergeben, so dass – anders als in den meisten Bundesländern – keine Praxis zu nächtlichen Not- oder Bereitschaftsdiensten herangezogen werden muss.

EB: Zum anderen ist da der Notdienst tagsüber, an Samstagen, an Sonn- und Feiertagen und am Mittwoch- und Freitagnachmittag. Da setzen wir bisher in der Belegung der Termine auf Eigenverantwortung und Freiwilligkeit. Über das Notdienstportal können sich die Praxen Termine aussuchen und haben so die Möglichkeit, diese mit der Praxisorganisation und den eigenen Zeitplanungen und denen der Mitarbeiterinnen in Einklang zu bringen. Das hat viele Jahre gut funktioniert, weil der Grundgedanke, dass sich unser Berufsstand auch in seinen Pflichten selbst organisiert, von einer solidarisch handelnden Kollegenschaft getragen wurde. Aber nun scheint die kollegiale Solidarität an ihre Grenzen zu stoßen.

HZB: Wie kann eine KZV dagegensteuern?

GL: Im Grunde genommen haben wir folgende Möglichkeiten: Derzeit versuchen wir, die nicht freiwillig belegten  Termine aktiv durch die KZV zu besetzen. Dafür sprechen wir diejenigen direkt an, die ihrer Notdienstverpflichtung in der Vergangenheit nur unterproportional nachgekommen sind. Das bedeutet einen hohen Personalaufwand in der KZV. Und es wird immer schwieriger. Wir müssen also darüber diskutieren, ob wir den Notdienst, wie in anderen Bundesländern auch, fest zuteilen.

EB: Die Kolleginnen und Kollegen aus vielen anderen KZVen schauen zurzeit noch neidisch auf das Hamburger Modell der Freiwilligkeit. Und wir hoffen, sie tun das noch lange. Wir würden uns nur ungern von dem Prinzip der solidarisch getragenen Freiwilligkeit verabschieden. Deshalb mein Aufruf an unsere Hamburger Kolleginnen und Kollegen: Tragt Euch bitte freiwillig für die Notdienste ein. Jeder ist einmal dran. Auch in der gemeinsam und freiwillig organisierten Erfüllung unseres Sicherstellungsauftrages zeigt sich die Gestaltungskraft der Selbstverwaltung, die uns die Gesundheitspolitik in den letzten Jahren so gerne abgesprochen hat. 

GL: Dabei ist die Liste der von den Kolleginnen und Kollegen und der Selbstverwaltung gelösten Probleme lang:
Die Hamburger Zahnärzteschaft hat sich in Corona selber die ersten Masken und Hygieneartikel organisiert. Ansteckungen aus Praxen hat es nicht gegeben. Angebote zur Testung und Impfung gab es zuhauf. Für die zahnmedizinische Versorgung der ukrainischen Kriegsflüchtlinge entstand sehr schnell ein Angebot von Praxen mit entsprechender Sprachkompetenz. Die anteilige Versorgung vulnerabler Patientengruppen liegt in Hamburg höher als anderswo und erstreckt sich z. T. auf andere Bundesländer. 
Die finanziellen Schockwellen des GKV-FinStG konnten wir im Einzelfall durch intelligentes Zahlungsmanagement auffangen und so Praxisinsolvenzen verhindern. Im Bereich der TI duckt sich Hamburg nicht weg, sondern beteiligt sich aktiv im Rahmen der Modellregion an der Testung der Komponenten wie zurzeit an der elektronischen Patientenakte u. s. w.

(Im nächsten Heft: „Die Kolleginnen und Kollegen brauchen keine Sanktionsandrohungen, um den Weg in die Digitalisierung weiterzugehen, sondern praxisnahe Lösungen, die Mehrwerte für Patienten und Praxen bieten.“)