Im Januar 2007 fand der erste Hamburger Zahnärztetag statt, noch im Dorint Sofitel Hotel am alten Wall und Alsterfleet, und unter dem Motto „Mehr Planungssicherheit“. Im HZB von 3/2007 berichtete seinerzeit PD Dr. M. Oliver Ahlers über die Tagung. Der damalige Autor ist mittlerweile Vorsitzender des Fortbildungsausschusses und führte dieses Jahr erstmalig als Moderator durch die zweitägige Fortbildungsveranstaltung.
Eröffnet wurde der Zahnärztetag am Freitagmittag, dem 22. Januar, vom Präsidenten der Hamburger Zahnärztekammer, Konstantin von Laffert. Er freute sich, dass die frühzeitig ausgebuchte Jubiläumsveranstaltung wieder und traditionell in dem schönen Tagungsraum des Empire Riverside Hotels mit Blick auf den Hafen ein besonderes Ambiente bot. Der Zahnärztetag ermögliche kompakte hochklassige Fortbildung und kollegialen Gedankenaustausch; das Mitarbeiterprogramm am Freitag und die Angebote für Zahntechniker am Sonnabend rundeten das Bild ab. „Damit Sie nicht wieder auf eine Warteliste für Eintrittskarten geraten, rate ich Ihnen, sich frühzeitig für den Zahnärztetag 2017 anmelden, der am 20./21. Januar 2017 stattfinden wird.“
Von Laffert hieß diversere Ehrengäste, Kammerpräsidenten aus verschiedenen Bundesländern, die beiden amtierenden BZÄK-Vizepräsidenten Prof. Dr. Christoph Benz und Prof. Dr. Dietmar Österreich sowie den ehemaligen BZÄK-Präsidenten Dr. Dr. Jürgen Weitkamp willkommen. Aus dem UKE begrüßte er die amtierende DGZMK-Präsidentin Prof. Dr. Bärbel Kahl-Nieke, um dann aber überraschend den im Dezember 2015 zum Dekan der Medizinischen Fakultät des UKE wiedergewählten Prof. Dr. Dr. Uwe Koch-Gromus als Redner anzukündigen.
Prof. Koch-Gromus klärte die Anwesenden auf: „Ich habe die Ehre, nach Vorschlag des Zentrums für Zahn-, Mund-, und Kieferheilkunde und Beratung im Fakultätsrat, Herrn Dr. Helmut Pfeffer als Anerkennung für 20-jährige erfolgreiche Tätigkeit als Dozent im Rahmen der Berufskunde-Vorlesung für Zahnmedizinstudierende zu ehren und ihm die Urkunde Dozent honoris causa zu verleihen.“ Der ehemalige Vizepräsident der Zahnärztekammer hatte diese Dozententätigkeit 2015 beendet, dankte für die lobenden Worte und die Urkunde und versicherte, dass ihm die Aufgabe stets Freunde bereitet habe, er sie jetzt aber auch bei Dr. Maryla Brehmer, neues Mitglied im Kammervorstand, in guten Händen wisse. Mit einem herzlichen Applaus des Auditoriums endete diese Ehrung.
Dr. Helmut Pfeffer, langjähriger, früherer Vizepräsident der Zahnärztekammer Hamburg, wurde vom Dekan der medizinischen Fakultät des UKE, Prof. Dr. Uwe Koch-Gromus, ausgezeichnet.
PD Dr. M. Oliver Ahlers übernahm die Moderation und erklärte, dass sich der 10. Hamburger Zahnärztetag keinem speziellen zahnmedizinischen Fachgebiet widmen sollte, sondern als Jubiläumsveranstaltung Anlass für einen kurzen Rückblick biete mit dem Fokus auf die Frage, was wirklich jeweils neu sei.
Prof. Dr. Thomas Attin
Prof. Dr. Thomas Attin, Univ. Zürich, widmete sich in einem sprühenden Vortrag dem Neuen im Bereich Zahnerhaltung: Minimal-interventionelle Zahmedizin, kariologische Erkenntnisse, Erosionen, Abrasionen, De- und Remineralisation, Infiltration waren die Stichworte. „Mit einer Füllung allein kann man den Patienten vielleicht vom Schmerz befreien – aber die Karies heilen kann man damit nicht. Es ist unsere Aufgabe, das Verhalten, das zur Karies geführt hat, zu ändern, indem wir bei der Prävention helfen.“ Dabei kommt es nicht darauf an, welches neue Instrument, neueste Diagnose-Gerät oder welches Füllungsmaterial wir kaufen. Zahnmediziner müssten Wissen, Kenntnisse und Erfahrungen sammeln, damit sie entscheiden könnten: Abwarten und beobachten oder schon minimal-invasiv (be-)handeln.
Nach der Pause ging es weiter mit dem Neuen in der Kinderzahnheilkunde. Prof. Dr. Christian Splieth, Univ. Greifswald, nahm Aspekte seines Vorredners auf und charakterisierte auch die Karies im Milchgebiss als Vorgang eines chronischen Mineralverlustes. Wenn Zähne mit Füllungen behandelt würden und daneben neue Defekte aufträten, sei dies im Grunde nicht Sekundärkaries im Sinne einer gescheiterten Füllung, sondern neue Karies, die entsteht, weil die Demineralisationsvorgänge nicht unterbrochen werden. Der Referent präsentierte die exzellenten epidemiologischen Daten über die Rückdrängung der Karies im bleibenden Gebiss, bedauerte aber, dass aber im Milchgebiss eine Polarisation des Kariesbefalls bei bestimmten Kindern, häufig in prekären Familiensituationen lebend, festzustellen sei. Nur 60 % der Milchzahndefekte würden dabei versorgt – mit allen bekannten Folgen. Was könnten Zahnärzte nun tun, um Milchzähne sicher zu behandeln? Auch hier gab es Stichworte: Karies arretieren, Folientechniken, infiltrieren, versiegeln, Compomere, Stahlkronen, Lachgas-Verwendung u. a. m.
Prof. Dr. Christian Splieth
Splieth fesselte seine Zuhörer mit den Fakten und Hinweisen. Am provokantesten wirkte die aus Schottland stammende „Hall-Methode“, die in Greifswald modifiziert und analysiert wurde. Zweiflächige Läsionen an Milchbackenzähnen werden dabei ohne excavierenden Bohrereinsatz und Beschleifen „einfach“ mit zementierten Stahlkronen versorgt, die Karies so einfach gestoppt. Nebenwirkungen kämen dabei kaum vor. Die Mehrheit im Auditorium war überrascht von diesem Vortrag und sicher begierig, mehr zu hören – was aber wegen der geplanten Zeitdauer nicht möglich war. Zum Glück gibt es aber auch weiterführende Kurse und ab Anfang 2017 auch ein neues Hamburger Curriculum Kinderzahnheilkunde. Dieses richtet sich bewusst an Zahnärzte, die nicht gleich Kinderspezialisten werden, aber sich doch im Thema fortbilden wollen. Man beachte das kommende Fortbildungsprogramm!
PD Dr. Anne Wolowski
Neues in der Arzt-Patienten-Beziehung hatte PD Dr. Anne Wolowski, Univ. Münster, zum Thema und bestritt den letzten Vortrag des Freitagabends. Sie erläuterte moderne Patientenwünsche, die Vertrauenskultur, partizipatorische Entscheidungen, gab Tipps zu helfenden schriftlichen Informationen, weil Patienten sich die Fülle der gesprochenen Fakten und Vorschläge nicht merken könnten und deswegen auch das Überdenken zu Hause schwierig sei. „Ärzte brauchen eine gute Kommunikationskompetenz“ – diese Erkenntnis ist eigentlich nicht neu, aber sollte möglichst auch im Studium vermittelt und durch Fortbildung vertieft werden. Techniken und Tricks lassen sich lernen, auch wenn Empathie möglicherweise schon bei manchen Personen wohl ein natürliches Talent ist oder durch besondere frühkindliche Erfahrungen begünstig werden.
Get-together
Nach kurzer Umbauphase wurde der Vortragsraum zur „Get-together-Location“ mit leckerem Imbiss, Ausschank und Livemusik – und die tolle Atmosphäre des Zahnärztetages wurde zum Thema des heiteren kollegialen Gedankenaustausches. Die letzten Besucher des Zahnärztetages verließen erst nach 22 Uhr langsam den Saal.
2. Kongress-Tag
Prof. Dr. Michael Hülsmann
Um 9:30 Uhr ging es am Sonnabend mit Neuem aus der Endodontologie weiter. Prof. Dr. Michael Hülsmann, Univ. Göttingen, beleuchtete kritisch den Einsatz des DVTs, die Entwicklung immer neuer Instrumenten-Designs, -Querschnitte, -Legierungen und Geräte. Was ist besser, Crown-down-Aufbereitung oder Single-length?„Sie brauchen ein gutes Konzept und Sicherheit bei der Anwendung Ihrer Geräte und Instrumente. Und Sie müssen wissen, was Sie selbst bewältigen – oder was Sie lieber überweisen wollen.“
Hülsmann informierte auch über neue selbst-adjustierende Feilen, ultraschall-aktivierte Spülungen, photodynamische laseraktivierte Desinfektion, MTA und Biodentine und ähnliche Materialien – ein Feuerwerk an Informationen. Für die Zukunft sagte der Referent voraus, dass künftig absehbar auch für endodontische Läsionen Bezüge zu medizinischen Folgen nachgewiesen würden, wie dies in der Parodontologie schon erfolgt sei.
Prof. Dr. Nicole Arweiler
Neues aus der Parodontologie referierte Prof. Dr. Nicole Arweiler, Univ. Marburg. Bekannt ist, dass 80 % der Bevölkerung PAR-Befunde aufweisen. „Wir müssen mehr Augenmerk auf die frühe Erkennung von Taschenbildung legen. Eine verspätete Diagnostik verursacht verspätete Therapie – und mehr irreversible Defekte. Moderne Therapie ist weniger resektiv. Die antiinfektiöse Therapie steht im Vordergrund. Arweiler erläuterte das Marburger Konzept, das sich über 6 Monate erstrecken kann und verschiedene Phasen mit Inspektionen, supragingivaler Vorbehandlung und Initialtherapie umfasst, bevor subgingivale Wurzel- und Taschenreinigungen mit Ultraschall-Ansätzen und Handinstrumenten erfolgen. Diese Behandlung kann auch in Sextanten erfolgen, in mehreren aufeinanderfolgenden Tagen und nicht als einmalige „full-mouth-disinfection“-Sitzung. Die Reevaluation und ein Recall-System runden das Marburger Konzept ab. Die Referentin stellte regenerative Möglichkeiten vor, Rezessionsdeckung und betonte, dass auch die anderen medizinischen Disziplinen neuerdings die ganzheitlichen Aspekte der Parodontologie erkennen. Bakterien aus den entzündeten Parodontien haben Auswirkungen auf das allgemeine Immunsystem und Wechselwirkungen bei Lungenentzündungen, niedrigem Geburtsgewicht und Frühgeburtlichkeit, Gefäßverschlusserkrankungen und anderen Prozessen. Dies erkenne auch die Medizin zunehmend an.
PD Dr. M. Oliver Ahlers
Nach der ersten Pause berichtete PD Dr. M. Oliver Ahlers, CMD-Centrum Hamburg-Eppendorf, als Referent Neuigkeiten aus der Funktionsdiagnostik und -therapie. Im Schnelldurchlauf, aber gut strukturiert mit etlichen Querverweisen und Download-Möglichkeiten auf der Homepage seiner Praxis (www.cmd-centrum.de/presse/fachartikel.shtml), verwies Ahlers auf das multikausale Geschehen bei CMD-Patienten, Zusammenarbeit mit Orthopäden, Physiotherapeuten und Psychosomatik-Spezialisten. Ein CMD-Screening ist mittlerweile von der BZÄK als selbstständige Leistung anerkannt, durchgesetzt hat sich dabei der in Hamburg entwickelte CMD-Kurzbefund. Neu ist dabei die Software CMDcheck 4, im Internet gratis herunterzuladen (www.dentaConcept.de). Neu ist die aktuelle wissenschaftliche Mitteilung der DGFDT zur Funktionstherapie (www.DGFDT.de). Diese verlangt bei ausbleibendem Behandlungserfolg die Erfassung psychosomatischer Co-Faktoren. Neu und praxistauglich ist hierfür der Fragebogen Belastungsfaktoren. Der darin enthaltene validierte Test DASS erkennt mit 21 Fragen Anzeichen für Depressionen, Angststörungen und erhöhte Stressbelastungen. Ganz neu ist auch die S2k-Leitlinie „Instrumentelle Funktionsanalyse“ der DGFDT. Diese klärt erstmals auf Leitlinien-Niveau die Indikation jener Verfahren, besonders der instrumentellen Bewegungsanalyse sowie der Kondylenpositionsanalyse. Hierfür sind etablierte und neue Kondylenpositions-Bestimmungmessinstrumente verfügbar.
Neu und in der Leitlinie differenziert ist auch die Unterscheidung der in der GOZ 8060/8065 beschriebenen instrumentellen Bewegungsaufzeichnung zur Artikulatorprogrammierungsowie der darüber hinausgehenden Bewegungsanalyse von Dysfunktionen. Hinsichtlich der Funktionstherapie erläuterte der Referent bewährte Schienen und Modifikationen sowie deren Indikationen. Jene Folien sowie die zur Rekonstruktion von Okklusionsflächen stellte er zum Download ins Web (www.cmd-centrum.de/fortbildung/downloads-kursteilnehmer.shtml). Das dankbare Auditorium gewährte andauernden Applaus.
Prof. Dr. Bärbel Kahl-Nieke
Ein „Heimspiel“ hatte auch die Chefin der Poliklinik für Kieferorthopädie der UKE-Zahnklinik und amtierende DGZMK-Präsidentin, Prof. Dr. Bärbel Kahl-Nieke. Sie verwahrte sich vor Anschuldigungen aus der Presse, Kieferorthopäden würden zu viel und womöglich zum falschen Zeitpunkt behandeln. Hierfür erläuterte die Referentin zunächst die Inhalte der „Frühbehandlung“ und den Unterschied zur „frühen Behandlung“ sowie zu normalen Behandlungen. Die Vor- und Nachteile und die sich daraus ergebenden Indikationen der verschiedenen Behandlungen veranschaulichte sie anschließend überzeugend und stellte an entsprechenden Beispielen die Situationen und typischen Verläufe illustriert vor. Daraus ergab sich, dass die „Frühbehandlung“ in bestimmten Fällen ausgesprochen sinnvoll ist, zeitlich aber eng begrenzt – die „frühe Behandlung“ ist dies dagegen nicht. In Fällen, in denen der notwendige Behandlungszeitraum den Rahmen der Frühbehandlung absehbar übersteigt, sei daher der frühen Behandlung der Vorzug zu geben.
Die Entscheidung über das jeweilige Prozedere erfolgt in der Kieferorthopädie auf der Grundlage der Befunde und Verlaufsprognose vor Behandlungsbeginn. Die Botschaft der Referentin zum Thema Behandlungszeitpunkt war dabei, dass die Kieferorthopäden den richtigen Zeitpunkt des Behandlungsbeginns abschätzen können – nur kämen manchmal die Patienten zu spät. Sie bat daher die Allgemeinzahnärzte um gute Zusammenarbeit und Kommunikation, damit Eltern und Kinder die Möglichkeiten nicht verpassten. Beeindruckende Fotos dokumentierten, welche Ergebnisse auch ohne chirurgische Intervention bei so schwierigen Fällen wie basal offenem Biss – mittels der innovativen Technik nach Prof. Sato – oder unfallbedingen Kiefergelenksfrakturen in der Kindheit möglich sind. Auch Prof. Kahl-Nieke erhielt dafür den hochverdienten Beifall.
PD Dr. Stefan Paul
Zum Abschluss war PD Dr. Stefan Paul aus seiner Privat-Praxis in Zürich gekommen, um Neues und den aktuellen Stand aus den Fächern Implantologie/Ästhetik/Prothetik vorzustellen. Der Referent, der auch noch an der Freiburger Uni-Klinik forscht und lehrt, begeisterte mit beeindruckenden Fällen und Fotos, besonders zur Weichgewebsausgestaltung bei Implantaten in Zusammenhang mit speziellen Einheil-Abutments und besonderer Gestaltung der Implantat-Hälse. Paul betont, dass es seiner Ansicht nach darauf ankommt, die natürlichen Verhältnisse des Knochens approximal nicht durch „platte“ oder gerade Formen zu stören, denn dort sei der Knochen beim natürlichen Zahn auch nicht flach, sondern geschwungen. Dies entspreche eher der Grundlage für physiologische Papillenformen. Auch plädierte er für ein frühes oder ein sofortiges Implantieren nach Extraktion, selbst bei bestimmten infizierten Alveolarfächern, um die dünne buccale Knochenlamelle zu erhalten. Antibiose und keimreduzierende Spüllösungen unterstützten dieses Vorgehen. Die schonende gingivale Schnittführung und ein offenes Einheilen eines im Durchmesser kleinen Implantates ohne Druck auf den crestalen Knochen seien maßgeblich am Erfolg beteiligt.
Auch die Fotos von den mit Kronen und Veneers gelösten Fällen beeindruckten. Paul empfahl zudem die Anwendung von CHX-Lösungen nach dem Total-etching und vor der Applikation von Dentinadhäsiven, um einem späteren Retentionsverlust durch Mineralverluste vorzubeugen. Zudem erläuterte er das Prinzip und die Vorzüge des von ihm entwickelten Immediate Dentin Sealing. Ein sehr guter Abschluss der Fortbildungsveranstaltung.
Fazit
Der Hamburger Zahnärztetag im Januar, am Freitag und Sonnabend, ist eine echte Marke geworden. Der Zuspruch und die Nachfrage belegen, dass die Kollegenschaft dieses Fortbildungsformat, aber auch das Ambiente und die gute kollegiale Atmosphäre schätzen. In den Pausen gibt es Gelegenheit, bei Dentalausstellern Neues und Bewährtes für den Praxisalltag anzuschauen und sich informieren zu lassen. Bewährt hat sich die Neuerung, gleich nach jedem Vortrag Fragen aus dem Publikum zu beantworten, was zu einer angeregten informativen Diskussion führte. Ahlers freundliche, lockere und muntere Moderation und seine Betonung der Teamleistung von Ausschuss und Kammergeschäftsstelle wirken ungemein sympathisch.
Das anlässlich dieses Zahnärztetages produzierte Video wird vermutlich auf YouTube viele „Clicks“ und „Likes“ auslösen …
Dr. Thomas Einfeldt
Erschienen im Hamburger Zahnärzteblatt, Ausgabe 2-2016