Konzept für Hausbesuche, Einleitung
Welches Konzept soll die Hamburger Zahnärzteschaft verfolgen: die „Familien-Zahnarztpraxis“ vom Kleinkind bis zum Hochbetagten oder „die Spezialisten“ (für Kinder, für Implantate, für Endo, für weiße Zähne, für Paro, für Pflegebedürftige usw.)? Die Bezirksgruppen-Obleute sollten wissen, welche Vorstellungen ihrer Bezirksgruppe sie in der Delegiertenversammlung vortragen sollen, damit der Kammervorstand und die Öffentlichkeitsarbeit das richtige Konzept gegenüber Journalisten, Politikern und Sozialverbänden erklärt; denn Fragen zur zahnmedizinischen Betreuung von Pflegebedürftigen werden vermehrt gestellt …
Mundpflege rückt in den pflegerischen Fokus
Die Mehrzahl der älteren pflegebedürftigen Patienten wird zu Hause gepflegt. In den Pflegeheimen sind die meisten Bewohner geimpft, nun folgen die von Haus-ärzten betreuten gehbehinderten Senioren zu Hause. Damit wird die Zeit der „vorsichtigen Kontaktvermeidung“ beendet und die Wünsche nach zahnmedizinischer Betreuung Pflegebedürftiger nehmen wieder zu. Ein Grund unter mehreren ist auch der neue „Expertenstandard Mundpflege“, den das Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) unter Beratung von Zahnärzten der BZÄK und der deutschen Gesellschaft für AltersZahnMedizin DGAZ entwickelt und formuliert hat. Dieser „Expertenstandard Mundpflege“ wird im Mai veröffentlicht und gilt nach weiterer Erprobung und Evaluierung dann als Grundlage für die Verbände der ambulanten und stationären Pflegeorganisationen. Die Pflege-Ausbildungsreform (für alle Pflegeberufe) hat bereits neue Ausbildungsinhalte definiert und die Mundpflege hat eine höhere Gewichtung erhalten: Der Slogan der BZÄK „Gesund beginnt im Mund“ zeigt Wirkung. Auch die medizinischen Dienste der Krankenkassen, MDKs, die bei der Prüfung von Pflegeheimen und pflegerischen Leistungen eine Rolle spielen, nehmen den „Expertenstandard Mundpflege“ als Basis der Untersuchung, ob Pflegefehler vorkommen.
Zahn- und Mundpflege benötigt zahnmedizinischen Sachverstand
Mundpflege spielt eine größere Rolle und deren Bedeutung nimmt weiter zu, genau wie die Zahl der Pflegebedürftigen! Und es liegt auf der Hand: Tägliche Mundpflege ist wichtig. Ob und wie gepflegt wird, hängt aber auch von der Vorsorge und dem Befund ab – und beides kann der Pflegedienst nicht leisten und erheben, dafür sind Zahnärztinnen und Zahnärzte da. Sie sind auch diejenigen, die entscheiden, welche Schritte möglich sind, um eine sinnvolle angemessene Mundpflege zu ermöglichen und ob ggf. eine fortgebildete ZFA am Pflegebett dem Altenpfleger zeigen kann, wie man die Teleskopprothese oder Geschiebe-Teilprothese herausnehmen, reinigen, die Pflege der vorhandenen natürlichen Zähne durchführen und das Wieder-Einsetzen des Zahnersatzes erfolgen kann. Oder ob der Zahnarzt diese Aufgabe selbst übernehmen muss, weil eine besondere medizinische Lage besteht (z. B. Schluckstörung nach Apoplex mit Aspirationsgefahr).
Scheinbar unwichtige Frage: Wer liefert zahnmedizinischen Sachverstand bei immobilen Personen?
Die zahnmedizinische Versorgung Pflegebedürftiger ist durchaus auch eine wichtige gesundheitspolitische Frage. Im täglichen Versorgungsalltag der Praxen fällt sie nicht auf. Die meisten Praxisteams sind gewöhnt, dass die Patienten zu ihnen kommen und wollen das eingespielte Handeln zur Befriedigung der Nachfrage und des Bedarfs auch so fortsetzen. Zahnmedizin außerhalb der Praxis – ungewohnt. Wir Zahnärzte der Kassenzahnärztlichen Vereinigungen und Zahnärztekammern stehen am Scheideweg – wie soll die Versorgung der Zukunft aussehen? Seit den 1960er-Jahren haben die KZVen den Versorgungsauftrag für die Bevölkerung von den Gesundheitspolitikern und Behörden und er enthält die Verpflichtung, alle Gruppen zu versorgen – auch die gehbehinderten Pflegebedürftigen. Es gibt keinen akuten Versorgungs-Notstand, aber! Es ist eine „Gerechtigkeits- und Organisationsfrage“ ähnlich dem Notdienst abends, am Wochenende und an Feiertagen. Manchmal gibt es trotz der digitalen Zahnaerzte-hh-Homepage-Suche mit dem Stichwort „Hausbesuche“ Schwierigkeiten für bedürftige Patienten, einen aufsuchenden Zahnarzt zu finden. Die Suchenden rufen dann in der Geschäftsstelle der Zahnärztekammer an. Dann landen diese Anfragen schließlich beim Autor des Artikels und auch er muss manchmal Überzeugungsarbeit leisten, damit ein/e Kollege/in der Nachbarschaft des Suchenden „zahnmedizinische Probleme in Angriff nimmt“, untersucht, berät, ggf. therapiert oder bei Überweisungen und der Vereinbarung konsiliarischer Untersuchungen hilft.
Wir werden nicht darum herumkommen, eine organisatorische Regelung zu finden, wenn die Zahnärzteschaft sich nicht freiwillig und von allein für eine Lösung entscheidet – möglicherweise getrennt nach Bezirksgruppen (?); in der Innenstadt, in der sich wenige Wohnungen mit Pflegebedürftigen befinden, ist die Anforderung anders als in dicht besiedelten Wohnblock-Stadtteilen oder in den an den Stadtgrenzen liegenden Wohngebieten mit Einzelhausbebauung.
Zahlen
Ca. 47.000 zu Hause ambulant betreute Pflegebedürftige mit Leistungen aus der Pflegeversicherung gibt es derzeit in Hamburg. Nicht alle benötigen einen Hausbesuch, da sie mit Begleitung (z. B. bei starker Sehbehinderung) oder mit einem Rollstuhl eine barrierearme Zahnarztpraxis erreichen können. Andere Pflegebedürftige haben möglicherweise keine Zähne, keinen Zahnersatz, keine Mundprobleme mehr, werden am Ende ihres Lebens palliativ betreut. Etliche Patienten haben aufsuchende Zahnärzte gefunden, die in gewissen Abständen „nach dem Rechten schauen“ und bei Problemen angefordert werden können. Es liegen keine validen Zahlen für Hamburg vor, weil dieser spezielle Bedarf zahlenmäßig noch nicht ermittelt wurde. Es gibt nur die „Problemfälle“, die beim Autor des Artikels landen, der übrigens auch in verschiedenen Bezirksgruppen bereits für „aufsuchende Zahnmedizin – und die neuen BEMA-Positionen dazu“ geworben hat. Es liegt aber auf der Hand, dass der Bedarf steigt!
Lösungsansatz
Der Verfasser des Artikels plädiert ja dafür, dass sich jede(r) Zahnärztin/Zahnarzt sich ein Konzept schafft, wie sie/er Anfragen nach einem Hausbesuch in Praxisnähe zeitlich, instrumentell und organisatorisch bewältigt. In der Regel (und aus Erfahrung des Autors) sind es ja nur wenige pro Jahr!
Die pflegebedürftigen mobilitätseingeschränkten Patienten müssen sich damit abfinden, dass sie sich neue Zahnärzte in Wohnungsnähe suchen müssen, auch wenn sie früher zu „mobilen Zeiten“ quer durch die Stadt zu ihrem Lieblingszahnarzt gefahren sind. Es macht ja auch wirklich keinen Sinn in Bezug auf unser Versorgungssystem, dass diese weit entfernten Zahnärzte zu Hausbesuchen angefordert werden (Ausnahmen bestätigen die Regel) und dann im Hamburger Stadtverkehr und bei der Parkplatzsuche viel Zeit aufwenden. Das dicht besiedelte Stadtgebiet sollte doch genügend Zahnarztpraxen in Wohnungsnähe aufweisen.
Wie soll ein Hausbesuch aussehen?
Für Kolleginnen und Kollegen, die mit aufsuchender Zahnmedizin keine praktischen Erfahrungen haben, gibt es eine Hilfestellung von der Zahnärztekammer in Form des Ratgebers „Aufsuchende ZM für Pflegebedürftige“ als PDF (20 Seiten). Der Ratgeber kann im Download auf der Homepage der Kammer im geschützten Mitgliederbereich unter dem Stichpunkt „Alterszahnmedizin“, dann unter „Formulare“ gefunden werden ... www.zahnaerzte-hh.de/zahnaerzte-portal/mediathek/download-center/geschuetztes-dokument/file/download/35106/
Meistens geht es zunächst um einen sondierenden Hausbesuch, um zu klären, welche am Telefon geäußerten Beschwerden tatsächlich mit Befund und Diagnose festgestellt werden können und welche Therapie dann vorzuschlagen ist. Ob dann vor Ort geholfen werden kann oder ein Transport in die Praxis oder in eine spezielle OP-Einrichtung mit stationärem Hintergrund nötig ist, ergibt sich dann aus dieser ersten Kontaktaufnahme.
An dieser Stelle stoppt der Apell … und der Autor hofft, dass Kolleginnen und Kollegen die Anregung aufnehmen, vielleicht den Ratgeber einmal anschauen, ggf. kritische Anmerkungen oder neue Ideen äußern.
Gespannt auf eine Reaktion oder Diskussion wartet der Autor thomas.einfeldt@zaek-hh.de und grüßt kollegial und freundlich.
Dr. Thomas Einfeldt
Vize-Präsident Zahnärztekammer Hamburg