Nach einer Zeit von gut zwei Jahren konnte die turnusmäßig stattfindende Gutachtertagung von Zahnärztekammer und Kassenzahnärztlicher Vereinigung wieder in Präsenz durchgeführt werden.
Über 60 geladene Kolleginnen und Kollegen des zahnärztlichen Gutachterwesens von KZV und ZÄK, des Schlichtungsausschusses der ZÄK sowie der Patientenberatung der KZV (KZV InfoLine) folgten der Einladung von Kammer und KZV zur diesjährigen Fortbildungsveranstaltung. Ebenso nahm die Teamleiterin der zahnärztlichen Versorgung der AOK Rheinland/Hamburg teil.
Als Referent konnte Herr Professor Dr. Winfried Walther gewonnen werden. Herr Professor Walther führte als Direktor von 2007 bis 2021 die Akademie für Zahnärztliche Fortbildung in Karlsruhe. Er gehört dem Arbeitskreis Ethik der DGZMK an, ebenso ist er Mitglied des Ausschusses „Qualitätssicherung“ der Bundeszahnärztekammer.
Sein Vortrag mit dem Titel „ Praxis des Sachverständigen – wann spielen ethische Aspekte eine Rolle“ bildete den Hauptteil der Veranstaltung und hierin wurden die Teilnehmer aufgefordert, in seminargleicher Form darüber zu reflektieren, welche Bedeutung die Ethik bei der Erfüllung der gutachterlichen Aufgabe hat.
Als Literatur und für die weitere Vertiefung des Themas empfahl Professor Walther, das Buch von Dominik Groß – Ethik in der Zahnmedizin.
Professor Walther, der selbst seine zahnmedizinische Studienzeit in Hamburg absolviert hat, betonte seine Freude, wieder einmal in Hamburg referieren zu können, und hatte für das Auditorium drei Fallvignetten vorbereitet, von denen zwei bis ins Detail abgehandelt wurden.
Seine einführenden Worte in den Bereich der ärztlichen Ethik umschlossen deren Definition und die Tragweite für unser ärztliches und bzw. zahnärztliches Handeln und die Bedeutung der Tätigkeit der Gutachter. Im Anschluss erläuterte Professor Walther den Teilnehmern die Geschichte und die Bedeutung des Eides des Hippokrates und dessen Weiterentwicklung bis in die Moderne und den Ansatz der Prinzipienethik. Danach verließ er den Rahmen des alleinigen Vortragens und wechselte in den angekündigten Seminarmodus mit dem Auditorium.
Die erste Fallvignette beinhaltete den Schriftverkehr zwischen einer klagenden Patientin und deren Rechtsanwalt, dem beklagten Zahnarzt und dessen Rechtsvertretung sowie dem zuständigen Richter. Anhand dieses im Umfang nicht unüblichen Schriftwechsels vor dem eigenständigen Beweissicherungsverfahren verdeutlichte Professor Walther die Brisanz ethischer Elemente.
Als Ergebnis eines Beweissicherungsverfahrens werden die Fragen definiert, die vom Gericht an den Gutachter schriftlich gestellt werden. Feinsinnig wurden die Teilnehmer auf die Tücken der detaillierten Frageformulierungen hingewiesen. Zu guter Letzt sollte grundsätzlich angestrebt sein, dem Gutachter dezidierte Fragen vorzulegen, die eine dezidierte Antwort zu einer Sache oder Sachverhalt erlaubt. Gern wird dabei von der klagenden Partei der Versuch unternommen, an den Gutachter öffnende Fragestellungen zu formulieren, die z. B. ein Ausforschen der gutachterlichen Meinung provozieren und den Streit erweitern könnte.
Dabei stößt der Gutachter schnell auch an ethische Grenzen der Beantwortung und Bewertung, wie in dem vorgelegten Fall einer Sofortimplantatversorgung nach Reihenextraktion bei einer fast 80-jährigen Patientin, bei der im Beschwerdegutachten Mängel festzustellen waren.
Als Resümee sollte eine Fragestellung an einen Gutachter, egal ob vor Gericht, im Planungs-,Mängel-, oder Privatgutachten, immer so konkret wie möglich sein. Damit würden ethische Konflikte vermieden und dadurch eine gerechte Bewertung möglich.
Nach der Meinung des Referenten betrifft dieser Konflikt auch regelmäßig das Verfahren um die Ausnahmeindikation zur implantatgetragen Versorgung mit Zahnersatz nach §28 SGB V.
In seiner vorgestellten Fallvignette ging es um eine junge Patientin Mitte zwanzig mit angeborener Hypodontie.
Beispielhaft an diesem Fall vertrat er fest die Auffassung, dass die genehmigenden Stellen der Versicherungsträger öfter zu einem Umdenken gedrängt werden sollten.
Wegen der gesundheitlichen Bedeutung ablehnender Entscheidungen, den daraus resultierenden möglichen medizinischen Spätfolgen und wegen der oft sehr starken sozialen Relevanz bei einer noch zu erwartenden langen oder längeren Lebenszeit der Patienten sollte eine häufigere Bereitschaft zur Ausnahme von der Regel entwickelt werden oder die Patienten den sozialgerichtlichen Klageweg beschreiten.
Im Anschluss an diesen seminarähnlichen Tagungsabschnitt wurde von den beiden Gutachterreferenten der Kammer, Thomas Springer und der KZV Dr. Gunter Lühmann, noch ein kurzer Rückblick auf die Gutachtertätigkeit und die Patientenberatung der vergangenen 12 Monate geworfen. Festzuhalten und erwartbar war, dass im Kammerbereich ebenso wie bei der KZV die Gutachtenfrequenz pandemiebedingt rückläufig war und sich dies im laufenden Jahr fortsetzte. Trotz der Pandemie konnte das Gutachterwesen in vollem Umfang aufrechterhalten werden und die verlässliche Leistungsbereitschaft der beauftragten Kolleginnen und Kollegen allen Anforderungen genügen. Nach einer Tagungszeit von veranschlagten dreieinhalb Stunden verabschiedeten Thomas Springer und Dr. Gunter Lühmann die Teilnehmer aus der erfolgreichen und intensiven Veranstaltung mit dem positiven Fazit, dass man gespürt habe, dass Präsenzveranstaltungen einen höheren Wert haben und man sich auf ein gemeinsames Wiedersehen im nächsten Jahr freue.
Dr. Gunter Lühmann