Nachdem die Patentrechte der „Align technology“ vor einigen Jahren ausgelaufen sind, haben sich zahlreiche gewerbliche Anbieter am Markt etabliert, die die transparenten Schienen zu einem – vermeintlich günstigen – Preis anbieten. Während diese Unternehmen zunächst ihre Aligner unmittelbar den Verbrauchern anboten, suchen sie nunmehr zunehmend Kooperationen mit niedergelassenen Zahnärzten, um ihre Produkte auf den Markt zu bringen. Hintergrund ist, dass Aligner-Behandlungen grundsätzlich nur von Zahnärztinnen und Zahnärzten durchgeführt werden dürfen; denn es handelt sich dabei um eine kieferorthopädische Behandlung, die nach § 1 Abs. 3 des Zahnheilkundegesetzes dem Approbationsvorbehalt unterliegt.
Der Zahnärztekammer Hamburg liegt die Nutzungs- und Kooperationsvereinbarung eines – nach eigenen Angaben – Marktführers für Aligner in Europa vor. Danach soll über eine zwischengeschaltete Gesellschaft mit dem kooperierenden Zahnarzt eine vertragliche Beziehung vereinbart werden, die rechtlichen Bedenken begegnet. Dem kooperierenden Zahnarzt werden durch dieses Unternehmen Patienten zugewiesen, die eine Aligner-Behandlung wünschen. Vertragspartner dieser Behandlung soll dann nicht etwa der niedergelassene Zahnarzt, sondern das Unternehmen sein. Der Zahnarzt soll quasi als „Vehikel“ fungieren, um im Auftrag dieses Unternehmens die Aligner-Behandlung zu ermöglichen.
Gem. § 27 Abs. 3 des Hamburgischen Kammergesetzes für die Heilberufe ist jedoch die Ausübung der zahnärztlichen Tätigkeit für gewerbliche Unternehmen nicht zulässig und stellt damit bereits einen Verstoß gegen die Berufspflichten dar.
Der der Zahnärztekammer Hamburg vorliegende Kooperationsvertrag verstößt darüber hinaus in Folge der dort vorgesehenen Regelungen aus weiteren Gründen gegen die Berufsordnung der Hamburger Zahnärzte.
Der Präambel der Vereinbarung ist zu entnehmen, welche Erwartungen die Vertragsparteien dieser Kooperation wechselseitig hegen.
Während das Unternehmen daran interessiert ist, Schienenbehandlungen ortsnah zu erbringen und deshalb einen „Filialstandort“ bei dem Zahnarzt errichten will, soll das Interesse des Zahnarztes darin bestehen, Zahnschienenbehandlungen für seine Patienten anbieten zu können; weiteres Motiv ist „infolge des erfolgreichen Marketings des Unternehmens [ein] Zulauf von Patienten, die sich auch für sonstige Leistungen des Zahnarztes interessieren“.
Das konzeptionelle Verständnis führt dazu, dass der Zahnarzt eine quasi janusköpfige Funktion einnimmt. Einerseits soll er als Erfüllungsgehilfe des Unternehmens für diese Schienenbehandlungen in seinen eigenen Praxisräumen durchführen, andererseits soll ihm im Zuge dieser Aufgabe die Möglichkeit eröffnet werden, diese Patienten sodann für die eigene Behandlungstätigkeit „zu akquirieren“.
Abgesehen davon, dass sich daraus erkennbar haftungsrechtliche Risiken für den Zahnarzt trotz einer Haftungsfreistellung in der Vereinbarung ergeben können, stellt sich die gesamte Konstruktion unter berufsrechtlichen Aspekten zumindest problematisch dar.
Berufsrechtlich relevant könnten danach die Regelungen der §§ 2 Abs. 7, 21 Abs. 5 der Berufsordnung sein.
Nach § 2 Abs. 7 BO ist es dem Zahnarzt nicht gestattet, für die Zuweisung und Vermittlung von Patienten Vorteile zu fordern, sich versprechen oder gewähren zu lassen, selbst zu versprechen oder zu gewähren.
Der vorerwähnten Formulierung in der Präambel des Kooperationsvertrages, wonach ausdrücklich als Motiv für diese Kooperation die Chance erwähnt wird, neue Patienten durch das Marketing des Unternehmens gewinnen zu können, kann als eine „Zuweisung von Patienten“ im Sinne dieser berufsrechtlichen Regelung erkannt werden.
In diesem Zusammenhang kommt es nicht darauf an, ob die Gegenleistungen, die der Zahnarzt gegenüber dem Unternehmen zu erbringen hat, angemessen sind. Ebenso wenig kommt es darauf an, ob der von dem Unternehmen zu zahlende Kostenbeitrag für die Nutzung der Vorhalteleistungen angemessen ist. Der Vorteil im Sinne des § 2 Abs. 7 BO besteht schlicht bereits in dem Abschluss der Nutzungs- und Kooperationsvereinbarung.
Verstärkt wird der Verdacht der berufsrechtswidrigen Zuweisung durch die Regelung, nach der sich das Unternehmen bereiterklärt, seine Kunden bei weitergehenden zahnmedizinischen Fragestellungen außerhalb der Schienenbehandlung an den kooperierenden Zahnarzt zu verweisen.
Die Kooperation soll weiter dazu dienen, dass werbliche Maßnahmen auf die Praxis des Zahnarztes ausgerichtet werden. Denn anderenfalls könnte das Unternehmen keine eigenen Patienten gewinnen, die die Praxis des Zahnarztes „ortsnah“ aufsuchen, um sich dort in der „Filiale“ des Unternehmens einer Schienenbehandlung zu unterziehen. Das Unternehmen wird also mit dem Namen des Zahnarztes werben, damit in dessen Praxis die Schienenbehandlung durchgeführt werden kann.
Diese Konstellation begründet den Verdacht eines berufsrechtlichen Verstoßes gegen § 21 Abs. 5 BO, weil der Zahnarzt sich und seine Berufsbezeichnung für die gewerblichen Zwecke des Unternehmens hergibt. Gestützt wird diese Einschätzung weiter durch die Regelung in der Vereinbarung, nach der der Zahnarzt ausdrücklich gestattet, „in angemessenem Umfang nach außen auf das Anbieten der Zahnschienentherapie unter der Marke DrSmile hinzuweisen“. Was unter „angemessenem Umfang“ zu verstehen ist, ist gewiss interpretationsfähig. Zumindest jedoch kann angenommen werden, dass damit die Bewerbung der Marke DrSmile außer- und innerhalb der Praxisräume des Zahnarztes zu verstehen ist. Es findet mithin nicht nur eine berufsrechtswidrige Bewerbung des Unternehmens, sondern auch der Marke DrSmile durch den Zahnarzt statt.
Ob und inwieweit die der Kammer vorliegende Nutzungs- und Kooperationsvereinbarung gegen sonstige rechtliche Bestimmungen verstößt, soll hier nicht weiter vertieft geprüft werden. So soll lediglich angesprochen werden, ob das Modell unter strafrechtlichen Gesichtspunkten (§§ 299a, b StGB) bedenklich sein könnte. Ebenso wenig sind Feststellungen darüber getroffen, ob etwa Verstöße gegen das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz deshalb anzunehmen sind, weil sich der Zahnarzt verpflichtet, sein medizinisches Fachpersonal dem Unternehmen „zur Verfügung zu stellen“ und diesem insoweit Weisungsrechte gegenüber dem Personal abtritt. Ob des Weiteren Regelungen des Vertrages rechtlich haltbar sind, die den Zahnarzt beispielsweise verpflichten, in den vereinbarten „Slots“ keine anderen Termine zu vergeben (Notfälle?), soll hier nur Erwähnung finden. Ob eine solche Kooperation (gewerbe)steuerliche Reflexe auslöst, wäre im Einzelfall zu prüfen. Der vorliegende Kooperationsvertrag enthält in der Gesamtschau Regelungen, die der freiberuflichen Berufsausübung des Zahnarztes zuwiderlaufen.
Angesichts der aufgezeigten berufsrechtlichen Konfliktbereiche ist jedem Zahnarzt dringend anzuraten, derartige Kooperationsverträge vor deren Abschluss der Zahnärztekammer zur Prüfung und Vermeidung berufsrechtlicher Verfahren vorzulegen.
In zwei Verfahren haben Anbieter von Alignern bereits vergeblich den Versuch unternommen, kritische Äußerungen gegen deren Geschäftsmodell gerichtlich untersagen zu lassen. Sollte dieser Artikel erneut Anlass bieten, eine einstweilige Verfügung auf Unterlassung anzustreben, wird hierüber zu berichten sein.
Sven Hennings
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht
CausaConcilio, Hamburg