Dr. Kathleen Menzel ist seit Januar 2019 Mitglied des Vorstands der Zahnärztekammer Hamburg und dort zuständig für die Themen junge Mitglieder und Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Um jungen Kolleginnen und Kollegen aufzuzeigen, wie Zahnärzte ihre Praxisgründung erlebt, welche Erfahrungen sie dabei gemacht haben und wie sie sich damit fühlen, interviewt Dr. Menzel frische Praxisgründer. Ihr ist es wichtig, deutlich zu machen, dass eine Selbstständigkeit auch heute bereichernd, wirtschaftlich und zeitlich gut möglich und mit Familie vereinbar ist.
Dr. Kathleen Menzel (KM): Ab wann und warum wollten Sie Zahnärztin werden?
Dr. Nilgün Erikli (NE): Mein Wunsch, Zahnärztin zu werden, entwickelte sich etwas später. Nach dem Abitur habe ich zunächst eine Ausbildung zur Mediengestalterin abgeschlossen, da mich der Bereich IT und Design gleichermaßen interessierte. Noch während der Ausbildung stellte ich jedoch fest, dass mir diese Tätigkeit nicht reicht und der Wunsch ein Studium aufzunehmen wuchs immer mehr. Da ich mich besonders für Naturwissenschaften, Technik und Handwerk interessierte, fiel die Wahl ziemlich schnell auf die Zahnmedizin, welche all diese Bereiche vereint.
KM: Wollten Sie sich schon immer selbstständig machen?
NE: Nein, die Selbstständigkeit hatte ich anfangs abgelehnt, da ich schlichtweg keine Vorstellung davon hatte, was es bedeutet, eine Praxis wirklich zu führen. Ich hatte jedoch sehr schnell viele Aufgaben übernommen, die über die reine Patientenbetreuung hinausgingen (Behandlungskonzepte entwickeln, Qualitätsmanagement, Ausbildung der Auszubildenden, Mitarbeiterschulungen, Websitegestaltung und Abrechnung etc.) und so festgestellt, dass ich ein großes Interesse daran habe, mein Arbeitsumfeld aktiv zu gestalten. So war es dann naheliegend, dass ich mich selbstständig machen würde.
KM: Ab wann sind Sie in die konkrete Planung für die Selbstständigkeit gegangen?
NE: Ganz konkret ging ich Anfang 2018 in die Planung. Zu diesem Zeitpunkt war ich bereits 7 Jahre in derselben Praxis, beschäftigt in der ich auch meine Assistenzzeit absolvierte. Meine Promotion und einen postgraduierten Masterstudiengang hatte ich bereits abgeschlossen, so dass die Planung der Selbstständigkeit das nächste große Projekt wurde.
KM: Wie sind Sie die Gründung angegangen?
NE: Ich war mir noch nicht ganz sicher, in welcher Form ich mich selbstständig machen möchte und ob ich weiterhin in der Stadt bleiben oder lieber aufs Land gehen sollte. Mit einer Kollegin habe ich mir einige Praxen auf dem Land angesehen, wir sind aber schnell zu dem Schluss gekommen, dass die Modernisierungen dieser Praxen selbst eine hohe Investition benötigen würden, um sie auf den Stand zu bringen, wie wir sie gerne hätten. Die Gründung einer ganz neuen Praxis, wie ich sie bei Kolleginnen begleitet habe, schreckte mich auf Grund der sehr hohen Investition ebenfalls ab. Als mir mein Chef angeboten hat, in seine Praxis einzusteigen, habe ich sehr schnell ja gesagt, da die Praxisausstattung, Lage und das Team bereits meinen Vorstellungen entsprachen und ich das Behandlungskonzept mitgestaltet hatte. Ich hatte auch bereits lange mit meinem Chef zusammengearbeitet und wusste so auch, dass wir beide dieselben Vorstellungen davon haben, wohin sich die Praxis entwickeln sollte. Ob sich ein Einstieg denn für uns beide lohnt, haben wir anhand der Vorjahres-BWA durch den Steuerberater beispielhaft durchspielen lassen und so ermittelt, wie denn der jeweilige Gewinn ausgesehen hätte, wenn wir bereits letztes Jahr die BAG gegründet hätten. Auch der bestehende Mietvertrag war noch für mindestens weitere 15 Jahre sicher. Nachdem das geklärt war, haben wir durch den Steuerberater und unser betreuendes Depot den Praxiswert schätzen lassen und nach einem Beratungsgespräch mit einem Rechtsanwalt einen Gesellschaftsvertrag aufgesetzt. Auch die Finanzierung ging recht schnell mit Hilfe der apoBank vonstatten und ich bekam einen günstigen KfW-Existenzgründungskredit.
KM: Was hat Ihnen am meisten geholfen?
NE: Besonders dankbar bin ich für die Unterstützung meines damaligen Chefs und heutigen Kollegen Ayhan Yerlikaya, der mir den Einstieg in die Praxis ermöglicht hat, und Emine Yerlikaya, die sich im Wesentlichen um viele der bürokratischen Dinge gekümmert hat, angefangen bei der Kontaktaufnahme mit der Bank. Auf den Erfahrungsschatz dieser beiden zurückgreifen zu können, war ein großes Geschenk und gerade bei Fragen der Gestaltung des Kredites eine große Hilfe.
KM: Was gefällt Ihnen am meisten an der Selbstständigkeit?
NE: Die Selbstständigkeit ermöglicht mir die Freiheit meine Patienten nach meinen eigenen Vorstellungen und eigenen Behandlungskonzepten behandeln zu können und neue Dinge auszuprobieren.
KM: Was finden Sie nicht gut?
NE: Die ersten Jahre bringen eine gewisse finanzielle Unsicherheit mit sich. Im Angestelltenverhältnis weiß man natürlich immer, was man am Ende des Monats verdient hat. In der Selbstständigkeit weiß man dieses erst nach fast 1,5 Jahren, wenn die Steuererklärung abgeschlossen ist. Das belastet in der ersten Zeit doch sehr.
KM: Was würden Sie nicht nochmal machen?
NE: Ich würde von Anfang an versuchen mehr unternehmerisch zu denken und weniger emotional. Das ist besonders im Bereich der Mitarbeiterführung und beim Aufbau eines Teams wichtig.
KM: Würden Sie es wieder machen?
NE: Auf jeden Fall. Die Selbstständigkeit ist letzten Endes auch eine Typ-Sache. Wer aktiv sein Arbeitsfeld gestalten und Verantwortung übernehmen will, wird als angestellter Zahnarzt auf Dauer nicht glücklich.
KM: Welchen Tipp würden Sie jungen Praxisgründern geben?
NE: Sollte der Wunsch nach einer Promotion oder Spezialisierung bestehen, würde ich vorschlagen diese Dinge immer vor der Praxisgründung zu erledigen, da der Aufbau einer Praxis und der Bereich der Verwaltung sehr viel Zeit in Anspruch nimmt. Auch würde ich empfehlen vor der Investition in neue Geräte immer Kollegen zu Rate zu ziehen.
Dr. Nilgün Erikli über sich und ihren Werdegang:
Nach einer Ausbildung zur Mediengestalterin habe ich Zahnmedizin am UKE studiert und dort promoviert. Ich war am UKE als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Lehrbeauftragte und in einer Praxis angestellt tätig. Weiter habe ich ein Postgraduiertenstudium zum Master of Science in Parodontologie und Periimplantäre Therapie an der Universität Freiburg und eine Fortbildung zum Ausbildungsmentor absolviert und bin Mitglied im ZFA-Prüfungsausschuss der Kammer. 2019 habe ich mit meinem früheren Chef die Berufsausübungsgemeinschaft Zahnarztpraxis Westend gegründet.